Es ist der Tag unserer Abreise. Unser Flug geht zwar erst kurz nach elf Uhr, aber Narita, der internationale Flughafen von Tokyo, ist ca. 70 Kilometer von der Stadt entfernt, wir müssen noch auschecken, durch die Passkontrolle und die Züge zum Flughafen fahren auch nur alle Stunde und wir wissen nicht wann. Also klingelt zehn vor fünf der Wecker und fünf nach fünf klingelt das Telefon mit dem automatischen Weckruf. Ich stehe auf, gehe ans Telefon und wanke ins Bad. Wir haben vielleicht etwas mehr als drei Stunden geschlafen, sind also überhaupt nicht fit.
Als ich mich aufs Klo setze wird, wie immer bei diesen elektrischen Dingern, kurz gespült -das nervt und wiederholt sich normalerweise alle fünf Minuten. Diesmal hört die Spülung aber gar nicht mehr auf, die ganze Toilette und sogar das Bad fangen an zu wackeln. Ich denke zuerst an eine neue, von uns bis jetzt unentdeckte Funktion (vielleicht vibriert das Bad immer vor frühmorgens um sechs?). Aber nein, es ist ein Erdbeben oder zumindest die Ausläufer eines Erdbebens ca. hundertfünfzig Kilometer südwestlich von Tokyo.
Qingqing döst derweil noch im Bett und wundert sich über den sehr aufdringlichen Weckruf des Hotels, das Bett wackelt, zuerst ein bisschen, dann immer stärker, sie wird richtig wach und fällt fast raus.
Qingqing: “Schatz Erdbeben, Erdbeben”, ich: “Ja, ich weiß.”, “Was machst Du?”, “Ich sitze auf Klo.”, “Warum?”, “???”.
Unser Zimmer ist im 20. Stock des Hotels direkt an der Tokyo-Bucht. So schnell es geht renne ich zum Fenster, gucke raus. Das Gebäude gegenüber steht noch, auch alle kleineren und älteren Gebäude scheinen unbeschädigt. Unsere Vorhänge schwanken mächtig, ansonsten passiert nichts, das Erdbeben macht (zumindest bei uns) keinerlei Geräusch. Strom gibt es die ganze Zeit, Wasser auch. Nach und nach wird das Beben schwächer.
Seit dem Erdbeben letztes Jahr in Sichuan habe ich die Seite des US-Erdbebencenter in meinem Browser gespeichert. Dort gibt es alle nur denkbaren Daten zu allen Erdbeben irgendwo in der Welt. Und tatsächlich sind schon nach wenigen Minuten die ersten Daten des Erdbebens nachzulesen.
Irgendwie bin ich froh, dass uns das am letzten Tag in Japan passiert ist und nicht etwa am ersten. Angst haben wir aber eigentlich keine und nach einer halben Stunde fällt uns ein, dass der Flieger wohl nicht auf uns warten wird.
Später beim auschecken möchte ich von der Frau an der Rezeption wissen, wie häufig Erdbeben solcher Stärke in Tokyo sind. Aber vielleicht ist mein Einstieg in das Gespräch nicht gut gewählt: “Beeindruckenden Weckruf haben Sie hier.” Sie jedenfalls kann (oder will) mich nicht verstehen. Weder meinen Witz, noch meine Frage.